Die Ursachen sind unterschiedlich: körperlich oder psychisch auslaugende Berufe zum Beispiel oder die Gründung einer Familie, die mit Care-Pflichten einhergeht. Doch es gibt auch diejenigen, die Teilzeit arbeiten, weil sie es wollen und es sich leisten können. Das ist vielen ein Dorn im Auge und beschäftigt auch die Politik.
In diesem Zusammenhang sind vergangenes Jahr in Bundesbern mehrere Vorstösse eingereicht worden. Vollzeit soll wieder attraktiver, das inländische Arbeitskräftepotenzial angezapft und ausgeschöpft werden.
Von FDP-Ständerat Damian Müller ist eine Motion hängig, die einen Steuerbonus für Vollzeitarbeitende fordert. Mitte-Nationalrat Nicolo Paganini forderte den Bundesrat auf, zu klären, welche Rolle die freiwillige Teilzeitarbeit beim Ausschöpfen des Arbeitskräftepotenzials spielt und mit welchen Massnahmen höhere Arbeitspensen gefördert werden können.
Doch wie gross ist das Potenzial überhaupt, und was heisst freiwillig? Fällt der Papi-Tag von Jungvätern auch darunter – die Kinder könnten ja auch in der Krippe betreut werden? In Paganinis Postulat geht es explizit um freiwillige Teilzeit bei Personen ohne familiäre Versorgungs- beziehungsweise Unterstützungsaufgaben. Wie gross also ist das Potenzial ohne diese Gruppe?
Aufschluss in dieser Frage gibt die Arbeitskräfteerhebung des Bundesamts für Statistik (BFS). Dort wurde nach den Motiven für die Teilzeitarbeit gefragt (siehe Grafik). Die Mehrheit nannte familiäre Gründe, die Weiterbildung oder gab an, keine Vollzeitstelle gefunden zu haben respektive keine Möglichkeit, das Teilzeitpensum zu erhöhen.
Letzteres trifft laut der Soziologin Marlis Buchmann vor allem auf Frauen zu, da diese häufig in Berufen mit Überangebot arbeiten. «Man fragt sich: Frauen und insbesondere Mütter haben kleine Pensen – warum wollen die nicht mehr? Die Antwort: Weil es nicht geht, weil ihnen nicht mehr geboten wird!», sagte sie im Gespräch mit der «Handelszeitung».
Zu den freiwillig in Teilzeit Angestellten könnte man in der BFS-Auswertung all jene zählen, die entweder «Kein Interesse an Vollzeit» angekreuzt oder einen «Anderen Grund» ausgewählt haben.
«Das wären knapp 30 Prozent der Teilzeitbeschäftigten», sagt Daniel Kopp, Arbeitsmarktexperte bei der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF). Bei 1,7 Millionen Teilzeitbeschäftigten entspricht das rund 500’000 Personen, 350’000 Frauen und 150’000 Männer. Das sind laut Kopp etwas mehr als 10 Prozent der erwerbstätigen Frauen und Männer.
Wie kann man diese zu einem höheren Pensum bewegen? Und wie erreicht man die anderen 70 Prozent, deren Teilzeitpensum nicht freiwillig gewählt ist?
Kinderbetreuung als Hauptgrund
Beginnen wir mit jenen, die womöglich gerne mehr arbeiten möchten, aber nicht können. Die am häufigsten genannten Gründe dafür sind die Kinderbetreuung und andere familiäre Pflichten. Es betrifft vor allem die Frauen.
«Hauptgrund dafür, dass in der Schweiz so viele Frauen Teilzeit arbeiten, sind Betreuungspflichten, etwa von Kindern. Dieser Anteil liegt höher als im OECD-Schnitt», erklärt Raphaela Hyee, Ökonomin bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) in Paris.
Und dieser Fakt wiederum habe seinen Ursprung darin, dass in der Schweiz die Kinderbetreuung schlicht zu teuer sei: «In Zürich kostet die Ganztageskinderbetreuung rund 25 Prozent eines Durchschnittslohns. Das ist der dritthöchste Wert im OECD-Raum, nur in Neuseeland und Grossbritannien ist die Kinderbetreuung noch teurer», erklärt Hyee (siehe nachfolgende Grafik).
«Teilzeit arbeiten, weil man es will und es sich leisten kann – das ist vielen ein Dorn im Auge und beschäftigt auch die Politik.»
Damit die Frauen ihre Pensen erhöhen, sei es am zielführendsten, die Betreuungskosten zu bezuschussen, sagt die OECD-Expertin und mahnt: In Sachen bezahlbarer Kinderbetreuung hätten andere Länder schon «deutlich mehr Fortschritte als die Schweiz gemacht.»
Auch die Ökonomin Monika Bütler plädiert für einen Ausbau der staatlichen Kinderbetreuung: «Kitas haben nicht nur den Effekt, dass Eltern mehr arbeiten können, sondern sie erbringen auch gewisse Integrationsleistungen», sagte sie dem «Tages-Anzeiger» Anfang Januar in einem Interview. Daher sollten Kitas zum kostenlosen staatlichen Schulsystem zählen.
Neben staatlichen Kitas seien zudem steuerliche Anreize ein Weg, um Menschen zu höheren Pensen zu bewegen – gerade Frauen. «Heute bleibt gerade Zweitverdienerinnen von einer zusätzlich geleisteten Arbeitsstunde nur noch wenig – aufgrund der Steuerprogression und der Zuteilungskriterien von Subventionen», so Bütler.
Doch davor warnt OECD-Expertin Hyee: «Steuerliche Anreize für höhere Pensen sind teurer als Kita-Zuschüsse, und es drohen zudem hohe Mitnahmeeffekte.»
Steuerliche Anreize sind jedoch vor allem bei der freiwilligen Teilzeitarbeit das grosse Thema.
Wie freiwillige Teilzeitler wieder öfters ins Büro gelockt werden
Laut Schätzung basierend auf der BFS-Umfrage arbeitet rund eine halbe Million aus freien Stücken nicht Vollzeit. Sie nehmen sich die Zeit für andere persönliche Projekte, Fronarbeit, Hobbys – oder einfach für etwas mehr Müssiggang.
Dieses brachliegende Potenzial von einer halben Million Personen soll zum Aufstocken des Pensums motiviert werden. Aufsehen erregte die im September von FDP-Ständerat Damian Müller eingereichte Motion, dass Vollzeitarbeitende einen Steuerbonus erhalten. Unterstützung bekommt diese Idee vom Freiburger Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger und vom Gewerbeverband.
Ein Steuerbonus für Vollzeitangestellte
«Das Ziel wäre, einen Steuerabzug einzuführen, um 100-Prozent-Anstellungen attraktiver zu machen», sagt Mikael Huber, Ressortleiter Finanz- und Steuerpolitik beim Schweizer Gewerbeverband. Ihm schwebt dabei eine Abstufung der Abzüge nach Höhe des Pensums vor. Eichenberger plädiert für einen sogenannten Vielarbeitsabzug für jede Stunde Arbeit über einer bestimmten Referenzwochenarbeitszeit.
Die Arbeitsmarktexpertinnen und -experten sind jedoch skeptisch. «Wie stark finanzielle Anreize das Arbeitsangebot beeinflussen, ist aus wissenschaftlicher Sicht unklar», sagt Kopp vom Kof. Und wenn es trotzdem wirke, bestehe die Gefahr, dass traditionelle Rollenbilder zementiert würden: dass Väter ihr bereits höheres Pensum wieder auf 100 Prozent aufstocken und die Mutter das kleine Pensum ganz aufgibt. «Denn solche Entscheide werden oft auf Haushaltsebene gefällt.» Auch Kopp verweist auf erhebliche Mitnahmeeffekte. Alle, die heute schon Vollzeit arbeiten, erhielten die Gutschrift ja ebenfalls.
Auch der Bundesrat hält nicht viel von einem Vollzeitbonus. Er unterstützt zwar das Anliegen, das inländische Arbeitskräftepotenzial zu mobilisieren und damit den Fachkräftemangel zu reduzieren. Doch ein Steuerbonus sei nicht der richtige Weg, heisst es in der Antwort auf Müllers Motion.
Individualbesteuerung als Königsweg
Die Lösung sieht der Bundesrat in der Individualbesteuerung, denn «die aktuell geltende gemeinsame Besteuerung erzeuge ungünstige Erwerbsanreize, weil das tiefere Zweiteinkommen aufgrund der Progression einer deutlich höheren Steuerbelastung unterliegt als das höhere Ersteinkommen.» Das wiederum führe dazu, dass der zweiterwerbende Familienteil – zumeist ist es die Frau – keinen Anreiz hätte, höherprozentig zu arbeiten.
Dazu ein Beispiel: Verdient der Ehemann 120’000 Franken und seine Frau mit einem kleinen Pensum 20’000 Franken, wird das steuerbare Familieneinkommen zu 20 Prozent besteuert. Erhöht die Frau das Pensum und verdient 60’000, steigt der Steuersatz auf das Gesamteinkommen auf 25 Prozent. Die Steuerlast nimmt überproportional zu, um 17’000 Franken. Bei der Individualbesteuerung stiege nur das Einkommen der Ehefrau von 20’000 auf 60’000, und der Steuersatz sowie die entsprechende Zusatzbelastung blieben tiefer. Bei einem Anstieg von 2 auf 5 Prozent etwa wäre die Mehrbelastung bloss 2600 Franken.
Die Eckwerte für die Individualbesteuerungsvorlage sind festgelegt, sie werden im März 2024 dem Parlament vorlegen wird. Durch die Umstellung erhofft sich der Bund einen positiven Beschäftigungseffekt. Er schätzt im erläuternden Bericht, dass durch die steuerliche Besserstellung mehr Zweiterwerbende das Pensum aufstocken und daraus eine Zunahme der Beschäftigung um 29'000 Vollzeitstellen resultiert.
Zu bürokratisch oder unfair
Andrea Opel, Professorin für Steuerrecht an der Universität Luzern, sieht ebenfalls die Individualbesteuerung als einen Weg, um die Anreize für die Wahl eines höheren Pensums zu verbessern. Andere Vorschläge wie die Besteuerung nach dem Soll-Prinzip oder einen Vollzeitbonus hält sie entweder für nicht fair oder nicht praktikabel. Bei pauschalen Lösungen würden die Falschen getroffen, nämlich vor allem Frauen und Schlechterverdienende.
Davor warnt auch Kopp. «Bei solchen Massnahmen muss man aufpassen, dass es nicht die Falschen trifft, schliesslich haben 70 Prozent der Teilzeitbeschäftigten dies nicht ‹freiwillig› gewählt. «Doch wenn man es zielgenau umsetzen will, dürfte der bürokratische Aufwand enorm sein.»
Mit einem Wechsel zur Soll-Besteuerung, also zur Besteuerung eines hypothetischen Einkommens, stiege der Abklärungsaufwand für die Steuerbehörden ins Unermessliche, ebenso deren Ermessensspielraum, sagt die Steuerrechtlerin Opel.
Neben der Umstellung zur Individualbesteuerung sieht sie auch Möglichkeiten bei der Vergabe staatlicher Leistungen. Zum Beispiel, Prämienverbilligungen für freiwillig Teilzeitarbeitende zu kürzen.
Kopp von der ETH findet, man sollte sich aus der Arbeitskräftemangelperspektive besser auf jene konzentrieren, die unter den aktuellen Gegebenheiten gerne mehr oder überhaupt arbeiten würden, also auf die rund 450’000 Unterbeschäftigten und Erwerbslosen.
Quelle: «Handelszeitung», Peter Rohner, Holger Alich und Tina Fischer, 2024
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