Viele Mitarbeitende und Führungskräfte beklagen, dass sie viel Zeit in ineffizienten Sitzungen vertrödeln. Trotzdem hält die Meeting-Flut in den Firmen an. Allein die Zahl der Online-Sitzungen ist seit Ausbruch der Pandemie explodiert: Wie eine Erhebung von Microsoft zeigt, verbringen die Menschen heute rund dreimal so viel Zeit pro Woche in MS-Teams-Meetings und -Calls wie im Februar 2020. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Nachrichten in Chat-Kanälen wie Slack weiter zu, ohne dass E-Mails an Bedeutung verloren haben.
«Man wollte die Kommunikation mit neuen Tools effizienter gestalten, doch die Mitarbeitenden wurden dadurch nicht entlastet», sagt Cordula Nussbaum, Autorin und Business-Coach. Dies habe vielmehr dazu geführt, dass sie viele verschiedene Kommunikationskanäle – von E-Mails, Anrufen, Sitzungen bis zu Chat-Nachrichten und Kollaborationstools – ständig im Auge behalten müssten. «Die offenen Schubladen im Gehirn und die Angst, etwas Wichtiges zu verpassen, führen zu einer inneren Anspannung und schliesslich unweigerlich zu Erschöpfung», sagt Nussbaum.
Betroffen davon sind alle Altersgruppen gleichermassen. Junge, die mit den digitalen Medien aufgewachsen sind, fühlen sich ebenso erschöpft wie Ältere. Laut Nussbaum spielt jedoch der Charakter einer Person eine Rolle: Kreative, neugierige und empathische Menschen seien äusseren Reizen stärker ausgesetzt.
Dies bedeute allerdings nicht, dass sie sich grundsätzlich innerlich weniger gut abgrenzen könnten als andere. Die Fähigkeit, sich dem Strom nicht ausgeliefert zu fühlen und die Arbeit gut zu priorisieren, könnten alle erwerben, sagt Nussbaum. Hilfreich sei dabei, sich jene Teammitglieder zum Vorbild zu nehmen, die diese Kompetenz bereits aufgebaut hätten.
«Cordula Nussbaum rät, dass man sich auch banale Dinge aufschreibt.»
In ihrem Buch «Kopf voll, Hirn leer» schreibt sie unter anderem, wie man sich einen gesunden Umgang mit den Kommunikationsmitteln aneignen kann. Dazu gehört, Benachrichtigungen auszuschalten, Ablenkungen zu vermeiden sowie sich bewusst Zeiten zu erlauben, in denen man sich nicht stören lässt. Für eine Entlastung des Gehirns sorge auch, sich banale Dinge aufzuschreiben (z. B. welche Kanäle in welcher Reihenfolge bearbeitet werden), damit man nicht mehr daran denken müsse.
Die Strategien funktionieren, wenn man sich den Arbeitstag weitgehend selbst einteilen kann. Teams sollten sich dagegen auf Kommunikationsregeln und Zeiten für fokussiertes Arbeiten einigen. Wie lange dürfen die Antwortzeiten bei welchen Themen sein? Welche Kanäle nutzen wir für welche Inhalte oder für welches Arbeitstempo? Antworten wir auf alle Nachrichten? Und was bedeutet «Funkstille»? Manche Abteilungen hätten sich nach der Diskussion von Chat-Nachrichten verabschiedet, weil sie sich verzettelt hätten, sagt Nussbaum.
In einer Befragung von Microsoft bei Schweizer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gaben 69 Prozent an, sie hätten zu wenig Zeit, um sich ungestört auf ihre Aufgaben zu konzentrieren. Die Störungen am Arbeitsplatz haben seit der Jahrtausendwende deutlich zugenommen. Alle paar Minuten unterbrechen Mitarbeitende ihre Arbeit, weil eine Push-Meldung eingeht, ein Kollege anruft – oder sie einfach mal schauen wollen, was auf Social Media läuft.
«Wir versuchen, Multitasking zu betreiben, obwohl unser Gehirn es nicht kann», sagt Nussbaum. «Trotzdem suchen wir immer neue Ablenkungen, den nächsten Dopamin-Kick, bis wir nicht mehr abschalten und zur Ruhe kommen können.» Die Folgen des permanenten innerlich «Auf Abruf»-Seins sind bekannt: Stresssymptome, Depressionen und gesundheitliche Probleme.
Störungen bei der Arbeit, Multitasking und die Suche nach dem nächsten Dopamin-Kick schlagen sich auch negativ auf die Produktivität nieder. Nach einer Unterbrechung dauert es lange, bis die Mitarbeitenden wieder in ihre ursprüngliche Aufgabe hineinfinden. «Die Kommunikationskanäle sind nicht der Grund für die Belastungen», sagt Marc Holitscher, National Technology Officer bei Microsoft Schweiz. «Entscheidend ist, wie die Werkzeuge genutzt werden.» Das ganze Team müsse den Umgang mit den Kommunikationsmitteln trainieren wie einen Muskel. Doch Regelungen, wie im Team kommuniziert werde, und die Stärkung der individuellen Fähigkeiten reichten nicht: «Der Vorgesetzte sollte ein Vorbild sein und die Angestellten eigenverantwortlich arbeiten lassen.»
«Wir stehen an einem Wendepunkt, wie wir die Kommunikation in Firmen organisieren.»
Marc Holitscher, National Technology Officer bei Microsoft Schweiz
Die technischen Möglichkeiten, um der Menge an Informationen Herr zu werden, werden immer besser. Holitscher arbeitet seit ein paar Wochen mit einem Co-Piloten, mit dem er sprachbasiert kommuniziert. Dieser greift auf alle relevanten Informationen wie Kalender, Aufgabenliste, Kommunikationskanäle und Dokumente zu. Auf dieser Basis erstellt er einen schriftlichen Überblick über die anstehenden Aufgaben. Von der Form her erinnert es an eine Nachricht eines persönlichen Assistenten, der dem Chef die wichtigsten Aufgaben unterbreitet. Der KI-basierte Co-Pilot geht noch einen Schritt weiter und schlägt gleich auch eine Prioritätenliste vor.
Auch das Protokollschreiben an Sitzungen kann man sich sparen. Der Co-Pilot transkribiert die Audiodateien der Video-Calls und fasst sie zusammen. Und wer befürchtet, während des konzentrierten Arbeitens wichtige Neuigkeiten zu verpassen, weist den digitalen Assistenten an, er solle einen in der Fokus-Zeit nur über wichtige und dringende Nachrichten informieren.
«All dies erleichtert mir meine Arbeit enorm», sagt Holitscher. Es gelinge ihm viel besser, sich auf die relevanten Tätigkeiten zu konzentrieren. «Wir stehen an einem Wendepunkt, wie wir die Kommunikation in Firmen organisieren», sagt Holitscher. Es stehe künftig weniger die Frage im Vordergrund, wie die Mitarbeitenden am besten mit der Informationsflut umgingen, sondern wie sie am besten mit dem digitalen Assistenten interagierten und welche Funktionen der Co-Pilot übernehmen solle.
Die grössten «Zeitfresser» im Arbeitsalltag sind Sitzungen. Sie deswegen gleich abzuschaffen, ist jedoch für Unternehmen, insbesondere für jene mit flachen Hierarchien, nicht zielführend. Vielmehr geht es darum, wie man Sitzungen besser nutzt, organisiert und effizient durchführt.
Immer mehr Konzerne – darunter der Softwarekonzern SAP oder der Versicherer Bâloise – fördern Zeiten für ungestörte Konzentration und haben einen «Focus Friday» eingeführt. Sitzungsfreie Tage, blockierte Zeiten im Kalender und andere Massnahmen reichen allein jedoch nicht aus, um der zunehmenden Fragmentierung der Arbeit zu begegnen. «Ob es gelingt, dass die Mitarbeitenden ungestört an einer Aufgabe arbeiten können, hängt in erster Linie von der Firmenkultur ab», sagt Holitscher.
Wenn die Chefin zum Beispiel sieht, dass der Mitarbeiter seinen Status auf «beschäftigt» gestellt hat, kann sie ihm die Nachricht später schreiben. Damit sorgt sie für weniger Ablenkung und fördert eine Kultur im Unternehmen, die für konzentriertes und fokussiertes Arbeiten notwendig ist.
Quelle: «Neue Zürcher Zeitung», Natalie Gratwohl, 13.11.2023
Hier unseren Blog abonnieren
Basel +41 61 281 33 55 | Baden +41 56 296 33 55 | Rotkreuz +41 41 203 33 55 |
Kloten +41 44 872 70 00 | Winterthur +41 52 269 10 00 | Wil SG +41 71 913 80 80
Rufen Sie uns an: +41 56 203 25 55