Das Zeugnis muss wahr und wohlwollend sein. Das schafft Probleme. Die Wahrheit hat Priorität. Eine Arbeitgeberin kann gegenüber einer neuen Arbeitgeberin haften, wenn die neue Anstellung aufgrund eines unwahren Zeugnisses erfolgt ist, namentlich wenn grobes Fehlverhalten verschwiegen wird. Straftaten und andere Verfehlungen, die einen klaren Zusammenhang mit der Tätigkeit haben, dürfen nicht verschwiegen werden, weil das Zeugnis über das Verhalten Auskunft geben muss. Die Formulierungen müssen allerdings schonend sein. Demgegenüber dürfen Delikte ohne Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit, oder die weit zurückliegen, nicht aufgeführt werden. Fraglich ist auch, ob Krankheiten, Absenzen und Freistellungen in Zeugnissen erwähnt werden müssen bzw. dürfen. Es gilt, dass eine Erwähnung nur erfolgen darf, aber auch muss, wenn der entsprechende Sachverhalt für die Arbeit in der Zukunft Bedeutung hat, oder aufgrund der Absenz eine Beurteilung der Leistung und des Verhaltens nicht seriös möglich ist.
Es kann sinnvoll sein, zu erwähnen, warum das Arbeitsverhältnis aufgelöst wurde. Allerdings ist das in aller Regel nur zulässig, wenn der Arbeitnehmer damit einverstanden ist. Zudem ist Vorsicht geboten. So ist die an sich positive Formulierung «Der Arbeitnehmer verlässt uns, weil er eine Weiterbildung machen will» heikel. Besteht er diese Weiterbildung nicht, wäre es ihm bei der Stellensuche angenehmer, nicht danach gefragt zu werden. Heikel sind Schlussformulierungen wie «Der Arbeitnehmer verlässt uns frei von jeder Verpflichtung». Das stellt einen Verzicht auf alle weiteren Verpflichtungen dar. Namentlich entfällt ein nachvertragliches Konkurrenzverbot. Es kann auch als Verzicht auf Verschwiegenheitspflichten verstanden werden und sollte deshalb unterbleiben. Saldoquittungen gehören nicht ins Arbeitszeugnis. Das Zeugnis ist grundsätzlich in der Sprache am Arbeitsort zu verfassen. Gehört der Arbeitnehmer einer Berufsgruppe mit überwiegend anderer Berufssprache an, ist diese zu verwenden. Das Zeugnis eines Piloten wird sinnvollerweise in Englisch
abgefasst.
Ungeklärt ist, wie das Arbeitszeugnis zu datieren ist. Grundsätzlich ist das Datum der Erstellung zu setzen, wie das Bundesverwaltungsgericht kürzlich festgehalten hat (Urteil A-2402/2023 vom 2. Dezember 2024). Das Gericht macht eine Ausnahme, wenn sich die Erstellung wegen eines Prozesses verzögert, weil dann ersichtlich wäre, dass es einen Konflikt gab. M.E. lässt sich das Problem dadurch lösen, dass jeweils nicht auf das Ausstellungsdatum Bezug genommen wird, sondern das Zeugnis «per» einem bestimmten Datum ausgestellt wird und so zum Ausdruck kommt, welcher Erkenntnisstand wiedergegeben wird. In der Praxis und der Lehre wird die Meinung vertreten, das Zeugnis müsse von einer unterschriftsberechtigten Person eigenhändig unterzeichnet sein. Diese Meinung findet aber keine Grundlage im Gesetz. Art. 330a OR enthält für das Zeugnis keinerlei Formvorschrift.
Vom Zweck des Zeugnisses her ist klar, dass es jederzeit reproduzierbar sein muss. Blosse Mündlichkeit kommt folglich nicht infrage. Bis vor einigen Jahren war auch klar, dass es ein Schriftstück auf Papier sein musste, weil es nur so bei einer Stellensuche als Teil der Bewerbungsunterlagen eingereicht werden konnte. Heute sind indessen bei den meisten Unternehmen die Bewerbungsunterlagen in elektronischer Form einzureichen. Wird das schriftliche Zeugnis gescannt und als PDF-Datei eingereicht, geht die handschriftliche Unterschrift verloren, was selbst für eine qualifizierte elektronische Signatur gilt. Der Authentizitätssicherung kann sie folglich nicht mehr dienen. Der Identifizierung des für die Ausstellung des Zeugnisses verantwortlichen Person dient sie auch nicht, weil sie meist gar nicht lesbar ist. Von daher ist sie überflüssig und vom Recht auch nicht verlangt. Allerdings ist sie heute üblich, sodass ihr Fehlen als Merkwürdigkeit angesehen werden kann, was sich für den Bewerber negativ auswirken kann. Insofern besteht bei den
herkömmlichen Papierzeugnissen ein Anspruch auf Unterschrift.
Sind Arbeitszeugnisse mit Blick auf alle diese Unklarheiten sinnvoll? Die Praxis zeigt, dass bei Bewerbungen Arbeitszeugnisse noch immer eine wichtige Rolle spielen. Allerdings darf die Bedeutung auch nicht überschätzt werden. Eine Umfrage hat gezeigt, dass nur 27% der die Zeugnisse lesenden Personen sie für aussagekräftig halten. Häufig wird zudem nur der Abschlusssatz gelesen, obgleich die Zeugnisse in der Regel eine bis zwei Seiten umfassen. Das ist insofern nicht erstaunlich, als auch die Qualität der Zeugnisse sehr unterschiedlich ist. Die genannte Umfrage ergab, dass 50% der Zeugnisse von Personen erstellt werden, die dafür nicht geschult sind. Der Arbeitnehmer erwartet ein individuelles Zeugnis, das seine Leistungen aufzeigt. 80–90% der Zeugnisse werden mit Textbausteinen erstellt und sind sehr beschränkt individuell. Der Aufwand für das Erstellen und Lesen der Zeugnisse ist enorm. Es werden gegen 2 500 000 Arbeitsstunden pro Jahr in der Schweiz dafür aufgewendet. Ergibt das Sinn?
«Das Arbeitszeugnis 2.0 zeigt auf einer Seite das Wesentliche auf und erleichtert die Vergleichbarkeit.»
Arbeitszeugnisse brauchen eine radikale Umgestaltung. Dies hat sich eine von Manuel Wiesner (Familie Wiesner Gastronomie AG) ins Leben gerufene Arbeitsgruppe zum Ziel gesetzt und eine neue Form des Arbeitszeugnisses erarbeitet, die in 45 Sekunden gelesen werden kann. Es handelt sich um ein auf das Wesentliche reduziertes Formular. Es schafft Vergleichbarkeit, auch wenn die Beurteilungsmassstäbe nicht vereinheitlicht werden können. Die Regeln für die Beurteilung und deren Darstellung sind aber formalisiert. Neben der Vergleichbarkeit hat dies auch den Vorteil der Transparenz.
Dem Arbeitnehmer wird nicht vorgegaukelt, er erhalte ein individuelles Arbeitszeugnis, obgleich es aufgrund von Textbausteinen geschrieben ist. Die Einheitlichkeit des Formulars in allen vier (!) Landessprachen hat den Vorteil, dass es ohne Weiteres von jemandem jenseits der Sprachgrenze verstanden wird. Die Erstellung nimmt erheblich weniger Zeit in Anspruch. Liegen Zwischenzeugnisse und regelmässige Beurteilungen vor, lässt sich das Schlusszeugnis sogar weitestgehend automatisch generieren. Dieses «Zeugnis 2.0» ist mit den entsprechenden Erläuterungen unter www.arbeitszeugnis.work im Internet abrufbar.
So funktioniert das Arbeitszeugnis 2.0.
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Quelle: Personalschweiz, Prof. Dr. iur. Dr. h.c. Thomas Geiser, 2025
Prof. Dr. iur. Dr. h.c. Thomas Geiser ist em. Professor an der Universität St. Gallen (HSG) mit Schwerpunkt Familien und Erbrecht sowie Arbeits- und Sozialversicherungsrecht. Ausserdem war er nebenamtlicher Richter am Bundesgericht sowie Mitglied in verschiedenen eidgenössischen Expertenkommissionen, insbesondere zur Revision des Familienrechts.
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