Das Problem: In komplexen Entscheidungssituationen neigen Menschen dazu, auf gelernte Muster zurückzugreifen, was zu Verzerrungen in der Wahrnehmung, sogenannten Bias, führen kann. Diese werden im beruflichen Umfeld durch etablierte Rollenbilder gefördert, die wiederum zu Geschlechterdifferenzen beitragen – also wenn etwa Frauen und Männer bei Beförderungen unterschiedlich behandelt werden. Verhaltenswissenschaften bieten Ansätze, um solche Bias in Organisationen anzugehen und mit kleinen Veränderungen den Arbeitsalltag inklusiver zu gestalten.
Studien zeigen, dass Programme zur Förderung der Gleichstellung von Frauen bereits Erfolge erzielt haben, insbesondere im Rekrutierungsprozess. Dennoch besteht weiterhin eine Diskrepanz in der Wahrnehmung von Geschlechterrollen. Unternehmen wie zum Beispiel Affective Advisory setzen auf verhaltenswissenschaftliche Beratung, um Veränderungen in Richtung mehr Diversität zu bewirken. Der Pionier im Behavioral-Science-Ansatz in der Schweiz arbeitet unter dem Dach der renommierten Beratungsagentur Farner.
«Denken Sie an Ihr Arbeitsumfeld. Wer sind Ihre Kolleginnen und Kollegen? Wer leitet das Team? Wer befindet sich in welcher Position? Herrscht ein Gleichgewicht der Geschlechter? Sehen Sie mehr Männer in den Chefetagen? Wer repräsentiert was in Ihrem Unternehmen?», so fragt jeweils Torben Emmerling, Gründer und Managing Partner von Affective Advisory sowie Chief Behavioural Officer von Farner. Er berät Unternehmen aus verhaltenswissenschaftlicher Perspektive, um Diversität zu fördern.
«In komplexen oder unsicheren Situationen neigen Menschen dazu, auf einfache Abkürzungen zurückzugreifen, um Entscheidungen zu vereinfachen. In den Verhaltenswissenschaften bezeichnen wir dies als Bias»
Anna Holub, Verhaltenswissenschafterin und Beraterin bei Affective Advisory
Die Antworten auf diese Fragen sind mehr als nur eine Momentaufnahme der persönlichen Arbeitsumgebung. Sie sind ein Spiegelbild gesellschaftlicher Denkweisen und Strukturen. «Sie repräsentieren eine Norm, die offenlegt, dass insbesondere Frauen heute immer noch mit gewissen Rollen assoziiert oder eben nicht assoziiert werden. Und Sie zeigen den Handlungsbedarf in Bezug auf strategische Repräsentativität hin», so Emmerling.
Indem Frauen stärker in Positionen und Jobs, die stereotypisch als männlich angesehen werden, repräsentiert werden, wird den unterbewussten Bias der Bevölkerung entgegengearbeitet. Gleichzeitig gibt eine häufigere und diversere Abbildung von Frauen in Rollen einen Ausblick darauf, was es für Optionen bei der Jobwahl es gibt. Soziale Normen werden angesprochen und potenziell aufgebrochen. Viele Schweizer Unternehmen, wie etwa auch die Schweizerische Post, haben hier beispielhafte Programme lanciert.
«In komplexen oder unsicheren Situationen neigen Menschen dazu, auf einfache Heuristiken oder Abkürzungen zurückzugreifen, um Entscheidungen zu vereinfachen. In den Verhaltenswissenschaften bezeichnen wir dies als Bias», erläutert Anna Holub, Verhaltenswissenschafterin und Beraterin bei Affective Advisory. Diese Bias treten besonders stark bei der Talentauswahl, bei Beförderungsentscheidungen und der individuellen Jobwahl auf. Geschlechterkongruenz und persönliche Erfahrungen beeinflussen die Entstehung von Bias, wenn wir unsere stereotypen Vorstellungen auf neue Situationen projizieren.
Die Nutzung stereotypischer Rollenbilder bei Entscheidungsprozessen, sei es bei Einstellungen, Beförderungen oder der eigenen Jobwahl, wird durch persönliche Erfahrungen verstärkt. Diese Erfahrungen sind jedoch oft nicht repräsentativ für beide Geschlechter. Solche Bias können dazu führen, dass Frauen in Führungspositionen schlechter bewertet werden, insbesondere wenn weibliche Manager in höheren Positionen unterrepräsentiert sind. Ebenso würden Männer möglicherweise weniger Rückmeldungen für stereotypisch weibliche Jobs erhalten, betont Verhaltenswissenschafterin Judith Wagner von Affective Advisory.
Eine Firma, die diese Bias systematisch verhindern will, ist ISS. «Der Confirmation-Bias, der Affinity-Bias und der Conformity-Bias sind die häufigsten, und wir arbeiten daran, sie den Menschen bewusst zu machen, Denkweisen zu hinterfragen und zu vermeiden», sagt Margot Slattery, Head Diversity & Inclusion der ISS-Gruppe. Ihr Ziel ist, bis Ende 2025 mindestens 40 Prozent Frauen auf der Führungsebene des Unternehmens zu haben.
Der Confirmation-Bias bezieht sich darauf, dass wir dazu neigen, Informationen zu bevorzugen, die unsere bestehenden Überzeugungen bestätigen, anstatt objektiv alle verfügbaren Daten zu berücksichtigen. Der Affinity-Bias tritt auf, wenn wir unbewusst Personen oder Ideen bevorzugen, die uns ähnlich sind, und dabei die Vielfalt und unterschiedliche Perspektiven vernachlässigen.
Der Conformity-Bias beschreibt die Tendenz, sich der Meinung der Mehrheit anzupassen, selbst wenn sie möglicherweise nicht die beste Entscheidung darstellt. «Wir haben sogenannte ERGs (Employee Resource Groups – interne Netzwerke, die auf Freiwilligkeit beruhen) ins Leben gerufen; Diversity, Inclusion und Belonging sind zu einem elementaren Teil der Unternehmensstrategie geworden», so Slattery.
In diesem Kontext wird deutlich, dass die Integration von Verhaltenswissenschaftern in Unternehmen nicht nur als Reaktion auf gesellschaftliche Forderungen erfolgt, sondern als strategischer Schritt, um die unbewussten Bias in Entscheidungsprozessen zu identifizieren und anzugehen. Die Ernennung von Jane Truncale als erste Frau an der Spitze eines Big-Four-Unternehmens im Jahr 2024 (EY) und der steigende Frauenanteil in Geschäftsleitungen börsenkotierter Unternehmen in der Schweiz auf 24 Prozent sind Anzeichen für eine langsame, aber stetige Veränderung. Insbesondere in der Finanzindustrie sind Fortschritte erkennbar, wobei Unternehmen wie die UBS einen Frauenanteil von bis zu 40 Prozent in Führungspositionen aufweisen.
Es ist jedoch festzuhalten, dass die Herausforderungen in Bezug auf Geschlechterrepräsentation in der Arbeitswelt weiterhin bestehen. Die Erhöhung der Frauenquote in Führungspositionen und in stereotypisch männlichen Jobs sollte nicht nur als statistisches Ziel betrachtet werden, sondern erfordert eine klare Kommunikation, um bestehende soziale Normen und Bias in der Gesellschaft zu überwinden. Kunden, die von Affective Advisory beraten werden, und Unternehmen wie ISS, das inzwischen über tausend Mitarbeitende in internen Diversitätsnetzwerken aktiviert hat, machen hierzu einen wichtigen Schritt.
Und klar ist auch: Dieser Prozess soll nicht nur den Frauen, sondern auch den Männern zugutekommen, indem er zu einer diverseren und inklusiveren Arbeitsumgebung führt. Es ist ein Schritt, der nicht nur die Chancengleichheit fördert, sondern auch die Resilienz und Innovationskraft von Organisationen durch vielfältige Perspektiven stärkt.
Quelle: «Handelszeitung», Stefan Mair, 2024
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