Angesichts der andauernden Corona-Krise, welche den meisten Unternehmen und ihren Beschäftigten stark zusetzt, ist gutes Management gefragt – gerade jetzt und vor allem in der Mitarbeiterführung. Kein leichtes Unterfangen, wenn grosse Teile oder gar die ganze Belegschaft remote von zuhause aus arbeitet. smart@work zeigt auf, wie Führungskräfte auch auf Distanz hinter ihren Mitarbeitenden stehen und ihnen den Rücken stärken.
Hilfebedürfnis und Probleme erkennen
Die nachfolgenden Erläuterungen zu den Verhaltensweisen von Personen in Stress und Angstsituationen gehen auf Ausführungen der renommierten klinischen Psychologin Ellen Hendriksen von der Boston University in ihrem Buch "How to be Yourself" sowie ihr Interview mit dem Harvard Business Manager zurück.
Indem man auf die richtigen Anzeichen achtet, kann man trotz der Distanz und dem fehlenden Austausch in persona erkennen, ob ein Kollege oder Mitarbeitender unter starkem Stress steht.
Äusserliche Unruhe: Anzeichen wie Reizbarkeit, körperliche Unruhe wie etwa rastloses Hin- und Herlaufen als auch sichtbare Nervosität sind oft einfach zu erkennen. Zudem gibt es subtilere Merkmale: Wenn Betroffene bei Web-Meetings via Zoom oder Teams eine Art Tunnelblick haben, sind sie möglicherweise hyperfokussiert auf eine bestimmte Sorge und kommen deshalb etwa immer wieder auf einen bestimmten Punkt der Tagessordnung zurück oder tun sich schwer, auf andere Meinungen einzugehen.
Schwindendes Kontrollbedürfnis: Menschen, die von Unsicherheit, Sorge oder Angst ergriffen sind, neigen dazu, vermehrt spontanen Impulsen nachzugeben oder vor manchen Herausforderungen zu kapitulieren. Sie geben ihr Kontrolle freiwillig auf. So wirkt ihr Verhalten teilweise konfus, ineffizient oder wenig zielorientiert.
Überhöhtes Kontrollbedürfnis:Unnachgiebigkeit und übertriebener Wachsamkeit gegenüber Unwägbarkeiten, oft gepaart mit einer abweisenden Haltung gegenüber Änderungen und Anpassungen, sind ebenfalls Anzeichen für starken Stress. Betroffene Personen haben die Tendenz, nur einen alternativlosen Lösungsweg zu sehen. Sie stürzen sich zugleich auf alle Aufgaben die unilateral kontrollierbar sind, wie etwa eine detaillierte Excel-Liste der Essens- und Getränkevorräte in der Kaffeeküche. Dieser gesteigerte Fokus hilft der Person, sich von der Krise abzulenken, indem sie sich «voll in die Arbeit stürzt».
Tipp
Sofern dieses Verhalten andere Mitarbeitende stresst oder Arbeitsprozesse erschwert, ist die Grenze zu ungesunder Überkontrolle oder Kontrollverlust überschritten und ein freundliches Entgegenwirken angemessen.
Schwere der Situation berücksichtigen
Verhältnismässigkeit der Reaktion zur Gefahr: Vor Covid-19 wäre es absolut überzogen gewesen, mit Handschuhen und einer Gesichtsmaske einkaufen zu gehen. Inzwischen hat sich unser Alltag gewandelt und allgemein wird ein gestärktes Gefühl der Angst und Besorgnis erwartet und akzeptiert. Auch hier wird ein gesundes Verhältnis vorausgesetzt: Wer schwerkrank den Besuch im Spital verweigert oder im Raumanzug in den Supermarkt geht, wird von den anderen vermutlich mit starker Befremdung wahrgenommen.
Unvoreingenommene Rücksichtnahme: Es ist förderlich, den Mitarbeitenden einiges an Spielraum zuzugestehen und ihren Umgang mit der Sorge zu respektieren, zumal die genauen Hintergründe nicht immer bekannt sind.
Wenn jemand überängstlich erscheint, bedenken Sie, dass Sie vielleicht nicht alle Zusammenhänge kennen. Fragen Sie nach! Möglicherweise leidet ein Mitarbeitender an einer Ihnen nicht bekannten Vorerkrankung und gehört zu einer Risikogruppe.
Möglicherweise arbeitet jemand aus der Familie des Mitarbeitenden als Krankenpflegerin im Spital oder der Partner kam in Kurzarbeit und wurde später betriebsbedingt gekündigt, sodass das Paar nicht weiss, wie es seine Lebenshaltungskosten decken soll. Dadurch können etwa berechtigte und angemessene Existenz- oder Zukunftsängste entstehen.
Empathische Führung auf Augenhöhe
Aufrichtigkeit: Wenn Sie Sich Ihrerseits Sorgen um einen Mitarbeitenden machen, teilen Sie ihm dies offen mit und bieten Sie ihm die Gelegenheit zum Austausch. Subtile Andeutungen in E-Mails und fragende Blicke oder Aussagen in Web-Meetings sind kontraproduktiv. Sie könnten die Angst und den Stress des Mitarbeitenden sonst noch steigern, wenn er sich dadurch unter Druck gesetzt fühlt oder nicht weiss, ob und wie er seine Situation ansprechen soll.
Ehrliches Interesse: Damit Sie sich mit ihren Mitarbeitenden über deren seelische Verfassung austauschen können,fragen Sie nach, fühlen Sie sich ein, nehmen Sie geäusserte Bedenken ernst. Dann können Sie ihre Mitarbeitenden und ihre Sorgen auch verstehen und jene können sich zu Recht verstanden fühlen.
Flexibilität: Viele Menschen haben Hemmungen, ihren Vorgesetzten von ihren persönlichen Sorgen zu berichten. Geben Sie ihnen Gelegenheit, sich mitzuteilen und fragen Sie nach, ohne einen Mitteilungszwang zu erzeugen. Wenn sich ihre Mitarbeitenden Ihnen gegenüber öffnen, können Sie etwas Angemessenes von sich selbst preisgeben oder ihre Einschätzung der Lage kundtun: «Es ist doch absolut verständlich, dass wir momentan alle unter Stress stehen.»
Zeigen Sie ihren Mitarbeitenden ihre Bereitschaft, sich gemeinsam über Lösungen für mögliche private Probleme auszutauschen – etwa die Corona-Erkrankung von Familienangehörigen und den Umgang damit.
Perspektiven aufzeigen: In der Krise fallen viele Sätze, die Unsicherheit im Umgang mit möglichen Ereignissen zum Ausdruck bringen: «Was, wenn ich in Quarantäne muss und von zuhause nicht normal arbeiten kann?» oder auch «Was mache ich, wenn meine Eltern erkranken?» Einerseits sind diese Fragen rhetorisch, anderseits sind sie öffnend, da Sie sie fragen: «Was würden Sie denn tun?» Wenn Sie sich in die Lage des Mitarbeitenden einfühlen und ihn dabei unterstützen, Antworten zu finden, ohne ihm diese vorzusetzen, wird seine Angst ernst genommen und Sie können dabei helfen, sie zu lindern.
Alles, was einen guten Mitmenschen ausmacht, von ehrlicher Teilhabe, massvoller Toleranz und Unvoreingenommenheit bis hin zu moralischer Unterstützung – macht auch eine gute Führungskraft in der Krise aus.
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